Wer den vorherigen Blogeintrag Durch ein offenes Herz zum "Drachen und Tiger Treffen 2024" gelesen hat, weiß bereits, wie ich dazu gekommen bin, 2024 auf dem "Drachen und Tiger Treffen" zu unterrichten. Nun war es soweit.
Da ich vor so vielen Menschen noch nie unterrichtet habe, war ich dementsprechend aufgeregt. Zudem waren es nicht nur viele, sondern auch erfahrene Übende und sogar sehr erfahrene Lehrerinnen und Lehrer, die meinem Unterricht beiwohnten.
Unter ihnen Hella Ebel, Brigitte und Ditmar von Taichi Chuan Bremen e.V., Sasa Krauter, Alexander Klepp, Cornelia Gruber, Mirke de Kruijf und noch einige mehr.
In den Vorbereitungen zu meinem Unterricht überlegte ich, was ich als junger Lehrer erfahrenen Taiji-Praktizierenden mitgeben könnte. Durch meine Neidan Gong-Ausbildung und meinen beruflichen Background stehen der gesundheitliche Aspekt und die innere Kultivierung bei mir im Unterricht im Vordergrund. In der ersten Übungsstufe des Neidan Gong wird strukturiert und sehr gründlich auf die verschiedenen Körperschichten (Blut, Fleisch, Knochen und Haut) geschaut und wie das Üben dieser Schichten uns als ganzen Menschen berühren kann. So entschloss ich mich die Übung der Wolkenhände zu nutzen, eine Bewegung, die fast jeder Taiji Praktizierende bereits einmal kennengelernt hat. Durch eine intensive Vorbereitung der einzelnen Körperschichten kann in der Bewegung immer wieder die Veränderung des Seins erlebbar gemacht werden.
Anerkennung und mein Herz
Vor einiger Zeit auf einem Taiji Form - Seminar fragte mich mein Lehrer mitten in einer Position, wie es meinem Herzen gehen würde. Mir fiel schlagartig die Brust zusammen und ich fühlte mich ertappt in meinen krampfhaften Bemühungen, so tief ernst und angespannt wie möglich zu brillieren. Mein Lehrer spiegelte mir, dass er öfter bei mir wahrnahm, wie ernst ich sei und wie verbissen. Ein Zustand, der mit Qi - Stagnation einhergeht. Die Korrektur: das Herz öffnen! Nicht nur im Formlaufen, sondern auch im Leben, damit das ständig strebende Gefühl Erlösung finden kann und das Qi wieder frei in alle Richtungen fließt. Ähnlich wie im Tuishou. Wer zu sehr strebt, verliert das Gleichgewicht. Leichter gesagt als getan. Jedes Lob, jede Anerkennung wurde bisher zwiespältig vom Herzen misstrauisch beäugt, hinterfragt und nicht angenommen.
Wie beschrieben, durfte ich vor vielen sehr fähigen Taiji-Begeisterten dieses Wochenende unterrichten. Eine wahre Probe und Chance fürs Herz!
Ich erinnerte mich und ergriff die Chance. Und mir wurde eine Möglichkeit nach der nächsten zuteil. So bestand meine größte Übung dieses Wochenende daraus, stehen zu bleiben, weich zu bleiben und anzunehmen, was mir entgegengebracht wurde. Innen und Außen zu beobachten und in Verbindung damit zu gehen. Es gab Applaus nach meinen Unterrichtseinheiten, die oben erwähnten Lehrer, kamen zu mir, lobten mich, meine Qualitäten und freuten sich darüber mich als nächste Generation zu sehen. Ein Wunsch, den ich tief in mir hegte. Völlig beseelt bin ich mit dem tiefen vertrauen aus dem Wochenende gegangen, ein guter Lehrer geworden zu sein und selbst stolz auf mich zu sein.
Freies Pushen
Nach dem Unterricht und der Mittagspause ging es täglich ans freie Pushen. Schnell und wendig - das sind meine Qualitäten und damit bin ich bei den wenigen Tuishou -Begegnungen meist auch ganz gut zurechtgekommen. Bei den ersten Berührungen am Freitag funktionierte dies auch wieder ganz akzeptabel. Es sei erwähnt, dass sich meine freien Push-Erlebnisse bis zu diesem Wochenende an einer Hand abzählen ließen.
Dann traf ich auf Ditmar, vom "Taichi Chuan Bremen e.V.". Schnell wurde mir klar, dass meine bisherige Strategie nur funktionierte, wenn ich jemanden als Gegenüber habe, dessen Struktur nicht sonderlich klar ist, dessen Qi nicht richtig gesunken ist und derjenige/diejenige vielleicht sogar schlicht und ergreifend körperlich schwächer war. Jeder wendige Fluchtimpuls wurde von Dietmar knallhart bestraft! ZACK!!! und wieder ein leichter Druck von der Seite von ihm und mein Gleichgewicht war gebrochen. Kein Wunder
bei meinen Verrenkungen, die ich anstellte, um meine eigene fehlende Struktur auszugleichen. Sanft, aber bestimmt ließ mich Ditmar unnachgiebig spüren. Genauso sanft und verständnisvoll, wie er mich aus dem Gleichgewicht brachte, sprach Ditmar zu mir und schilderte mir seinen Eindruck, wie er auch mich im Kontakt las. In keinem Moment hatte ich den Eindruck, dass er etwas aus seiner Überlegenheit heraus beweisen wollte. Er war einfach aufrichtig und daran interessiert, mit mir zu üben und zu lernen.
Beim Tuishou geht es nun mal nicht ums Gewinnen, sondern um Fühlen, Hören und Begreifen. Besonders durfte ich dies mit den ganz erfahrenen Taiji-Hasen und Häsinnen erkennen. Zu pushen mit jemanden der 45 Jahre älter und ein Kopf kleiner ist, ist wirklich etwas Besonderes und ein Geschenk. Hier hat man die Möglichkeit sich wirklich ganz auf die Essenz des Pushens zu besinnen. Kraft oder Schnelligkeit wäre in jedem Maße vermessen und nicht fair. Natürlich sind die Grundkonstitution die hier aufeinandertreffen verschieden. Durch das Pushen mit Ditmar und dessen Aufschlüsselung wusste ich auch schon bei leichtem Druck, wann ich eigentlich aus meiner Mitte gebracht wurde. Da musste ich nicht in Gänze aus dem Gleichgewicht gebracht werden. So konnte ich auch in der
leichten Berührung genau spüren, wann mein Gleichgewicht gebrochen war.
Jede neue Erfahrung im Kontakt mit einem neuen Partner, war eine neue Lektion. Zwei eindrückliche Erlebnisse möchte ich noch mit euch teilen. Als ich mit Mirka de Kruijf pushte, fühlte ich mich schon etwas sicherer. Ditmars Hinweise waren schnell und gut umsetzbar. Doch fehlte noch etwas. Mirka erkannte dies sofort im Kontakt. Nur ein kleiner Hinweis: „Gib mir meine Energie doch einfach zurück.“ Lange Jahre erklärte ich bereits das klassische Taiji - Drehtürprinzip. Nimm die aufkommende Energie und gib sie zurück! Hier zeigt sich, dass Theorie, Üben und Praxis, doch noch mal etwas anderes sind. Der Effekt war im Inneren riesig. Was in der Theorie klar war und lange Jahre im Ting jin (Krafthören) geübt wurde, fand in die Umsetzung und berührte mich. Schlagartig wurde mir auf allen Ebenen bewusst, wie sehr ich dazu neige, eher zu schlucken. Wenn wir es schaffen, die Theorie und das Üben, wirklich in die Praxis umsetzen können, dann ist es uns wirklich zu eigen. Das Tuishou ist hierfür ein wunderbares Feld der sanften Erprobung.
Das zweite eindrückliche Erlebnis hatte ich im Unterricht bei Sasa Krauter. Tuishou als wirkliche innere Begegnung mit dem Gegenüber. Sasa bereitet in ihrem Unterricht den Kontakt mit dem Partner sehr intensiv vor. Als wir dann in den ersten Kontakt gegangen sind, war es nur leichte, anfänglich auch nur voreinander stehend, ohne Berührung, um weiter sowohl im inneren Gefühl zu bleiben, als auch den anderen wahrzunehmen. Ein intensives Erlebnis, welches weit über das bloße Tuishou spiel hinausgeht. Als ich mit Sasa in Kontakt ging, kamen mir ganz plötzlich tränen. So klar, halb im Inneren, halb im Außen. Ein wirklich tiefgreifender Moment.
So war ich dieses Wochenende Schüler und Lehrer zugleich. Durch all diese Erlebnisse wurde mir deutlich, was ich bisher erreichen durfte und gleichzeitig wie viel ich noch zu lernen habe. Es war toll und ein wahres Geschenk von Brigitte und Ditmar, dass sie mir diese Chance in meinen jungen Jahren ermöglicht haben.
Mein tiefster Dank an die beiden und alle anderen die am "Drachen und Tiger Treffen 2024" mitgewirkt haben. Zum Schluss durfte ich noch beobachten, wie der nächste junge Lehrerkollege angesprochen wurde, um nächstes Jahr zu unterrichten (Der Lehrer des jungen Kollegen, ist ein früherer Gong Fu Bruder meines ersten Taiji - Lehrers, eine schöne Verbindung, wie ich finde.).
Ich freu mich jetzt schon auf nächstes Jahr!
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